Queer - Flucht - Sicheres Ankommen?
Ein Interview mit der Seebrücke Oldenburg
(RoZ) Oldenburg. Krieg, Verfolgung und Perspektivlosigkeit drängen weltweit Millionen Menschen zur Flucht, auch nach Europa. Doch selbst wer in Deutschland ankommt, ist noch lange nicht in Sicherheit. Das gilt besonders für queere Geflüchtete, die neben rassistischer Unterdrückung auch aufgrund von Geschlecht und Sexualität zur Zielscheibe von Gewalt werden können. Ob an den europäischen Außengrenzen oder in der Bundesrepublik, viele Geflüchtete werden über Jahre in Lagern, Massenunterkünften oder Abschiebeknästen festgehalten. Solche Räume, die für alle Betroffenen eine enorme Belastung darstellen, sind häufig Schauplätze queerfeindlicher Gewalt, wie geflüchtete Aktivist*innen berichten (https:// bit.ly/3HoR6VI).
Die langwierigen Asylverfahren bedeuten – neben Fremdbestimmung und Perspektivlosigkeit – auch eine besondere Entwürdigung. Damit Beamte über die Glaubwürdigkeit ihrer Verfolgung befinden können, müssen sie sexuelle und diskriminierende Erfahrungen bis ins letzte Detail zu Protokoll bringen.
Viele Asylanträge werden daher abgelehnt. „Ich bekomme jetzt immer eine Duldung, die nur ein paar Monate gültig ist. … Bei jeder Verlängerung habe ich Angst keine neue zu bekommen und abgeschoben zu werden“, erzählt Salman Tareq Salman im Interview in der RoZ (Nr. 190/2021). Seine Situation ist kein Einzelfall. Ein wesentlicher Grund für die Ablehnung von Asylverträgen ist, wie die Rechtswissenschaftler*in Petra Sußner bestätigt, dass Heterosexualität als normal gilt. Menschen, die diesem Bild nicht entsprechen, werden nach vorherrschenden Klischees beurteilt.
So wurde 2018 der Asylantrag eines Mannes aus Afghanistan in Österreich abgelehnt, weil er „ungesellig“ sei und damit unglaubwürdig. Schließlich seien Homosexuelle für ihre Kommunikationsfreudigkeit bekannt (Bericht im Standard März 2021, https://bit.ly/3eIFhgM). Wie oft dies oder vergleichbares im Oldenburger Raum der Fall ist, ist nicht bekannt. Aber im Mai 2019 berichtete die TAZ über die Ablehnung von drei Asylanträgen von queeren Geflüchteten aus Ägypten und Pakistan in Bremen und Oldenburg. Zu Oldenburg heißt es: „Die Homosexualität eines jungen Pakistani wird vom BAMF und dem Verwaltungsgericht Oldenburg nicht bestritten. Dennoch legt das Gericht dem queeren Geflüchteten in seinem Eilbeschluss vom 7. März nahe, freiwillig nach Pakistan auszureisen.“ Die Beam[1]ten behaupteten, dass er dort in Großstädten einen sicheren Ort finden könne (https://taz.de/ Abgelehnte-schwule-Asylbewerber/!5594783). Neben Klischees über queere Menschen gibt es in Asylverfahren und Gerichtsverfahren also auch Unkenntnis und Ignoranz hinsichtlich ihrer Lebensrealitäten in den Herkunftsländern.
Die Repression gegenüber queeren Geflüchteten trübt den Schein einer toleranten Bundesrepublik, die sich im Gegensatz zu den Herkunftsländern als weltoffen und demokratisch inszeniert. So wird zweierlei verdrängt: Einerseits, dass die Strafverfolgung, vor der viele Queers heute fliehen, oft ein koloniales Erbe ist. Andererseits, dass die Toleranz im vermeintlich zivilisierten Westen nur unter kapitalistischen Vorzeichen funktioniert. Wer als ökonomisch verwertbar gilt, die Herrschaftsverhältnisse und damit auch Privilegien nicht in Frage stellt, kann als Gleicher akzeptiert werden – alle anderen werden als wertlos ausgestoßen.
Die deutsche Migrationspolitik ist dafür das beste Beispiel. So können queere Geflüchtete nicht die gleiche Toleranz erfahren, weil sie staatlicherseits bereits durch Arbeitsverbote, Lagerunterbringung und Abschiebung aus Wirtschaft und Gesellschaft ausgeschlossen sind.
Diese Spaltung drückt sich auch sprachlich aus, denn der queere Identitätsdiskurs ist auf die kapitalistischen Zentren und ihre weiße Bevölkerung zugeschnitten. So spielen andere Lebenswelten keine Rolle, wie eine Studie von Serena Owusua Dankwa (2021) über gleichgeschlechtliche Beziehungen ghanaischer Arbeiterinnen zeigt (https://doi.org/10.1017/9781108863575). Wer Asyl in Deutschland aufsucht, muss die eigenen Erfahrungen paradoxerweise genau diesen entfremdeten Zuschreibungen unterordnen, um glaubwürdig zu sein.
Solidarische Interventionen
Gegen die gewaltvolle Unterdrückung (queerer) Geflüchteter hat sich seit einigen Jahren auch eine aktive Solidargemeinschaft herausgebildet. So informiert der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) mit einem mehrsprachigen Online-Leitfaden, auch gedruckt erhältlich, über das Asylverfahren für queere Geflüchtete (https://bit.ly/3FCN3oA). Darüber hinaus vernetzt, unterstützt und berät deutschlandweit der LSVD mit dem Projekt „Queer Refugees Deutschland“ (https://www.queer-refugees.de). In Niedersachsen existiert seit 2016 die Nieder[1]sächsische Vernetzungsstelle für die Belange von queeren Geflüchteten, initiiert vom Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen mit dem Queeren Netzwerk Niedersachsen (QNN) und dem Andersraum – LSBTI*-Zentrum in Hannover. Sie gibt einen Überblick über Beratungsstellen, Anlaufpunkte und Selbsthilfe von oder für queere Geflüchtete in ganz Niedersachsen (https://bit. ly/3zBdw3u).
An Informationen zur derzeitigen Rechtslage und Unterstützungsmöglichkeiten mangelt es somit nicht. In der Ausgabe Nr. 190 (2021) der RoZ wurde bereits auf das Beratungszentrum Rat & Tat in Bremen hingewiesen, das queere Geflüchtete berät. In Oldenburg bietet die AIDS-Hilfe Oldenburg den „Queer Refugees support“ an (https://bit. ly/33VZmi3; https://bit.ly/3FzJ9g2). Wir, Seebrücke Oldenburg (https://bit.ly/3KOd7zP; https://bit. ly/35uG2sL)haben bei der AIDS-Hilfe Oldenburg nachgefragt:
? Wie lange gibt es diese Beratungsstelle?
Mitte 2017 begannen wir mit dem Aufbau eines Anlaufcafés für geflüchtete LGBTIQ* in Oldenburg, das sich zunehmender Akzeptanz und Inanspruchnahme erfreute. Der Fachbereich Flucht und Migration der AIDS- Hilfe Oldenburg e.V. engagiert sich seit Jahren in den ansässigen Flüchtlingsunterkünften der Region.
Aus der intensiven Arbeit in den Unterkünften und den entsprechenden Communities ergab sich in den vergangenen Jahren eine starke Zunahme an Anfragen zur Unterstützung queerer, geflüchteter Menschen in der Region. Das Einzugsgebiet der AIDS-Hilfe Oldenburg e.V. umfasst dabei neben der Stadt Oldenburg die Landkreise Ammerland, Oldenburg, Wesermarsch, Cloppenburg, sowie Teile Ostfrieslands, die Stadt Delmenhorst und die Gemeinde Stuhr. In diesem gesamten Gebiet steht derzeit außer der AIDS-Hilfe Oldenburg e.V. keine Anlaufstelle oder Interessensvertretung für geflüchtete LGBTIQ* zur Verfügung.
Da die Teilnehmer*innen aus dem gesamten Ein[1]zugsgebiet in die Stadt Oldenburg anreisen mussten, ergeben sich Fahrtkostenerstattungen, da die Einkommen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz dies nicht abdecken. Die finanziellen Mittel zur weiteren Durchführung, wie zum Ausbau des Projekts „Queer Refugee Café“ konnten 2018 dank der Fördermittel des Landes aufgebracht werden.
? Was war der Anlass?
Ziel war es, durch ein fest installiertes, regelmäßiges Angebot für LGBTIQ* Geflüchtete und Migrant*innen Unterstützungs- und Hilfsangebote vor Ort bereitzustellen und/oder über bestehende Strukturen und Angebote der queeren Community zu informieren, Austausch und Netzwerkarbeit zu betreiben und Selbsthilfestrukturen in der Community zu fördern, sowie den Zugang zur queeren Community vor Ort zu ermöglichen, um damit an der Gestaltung des queeren Lebens in und um Oldenburg selbstbestimmt teilhaben zu können.
? Wie finden Geflüchtete den Weg zur Beratungsstelle?
Entweder durch unsere Kooperationspartner*- innen, oder durch Peers/Freund*innen, die sie eingeladen haben an unserem monatlichen Event teilzunehmen.
? Welchen Problemen begegnen sie?
Queere Geflüchtete begegnen den Problemen, die in unserer Gesellschaft typisch sind für den Umgang mit queeren Menschen und Menschen, die geflüchtet sind: Diskriminierung, Ausschluss und Ungleichbehandlung. Oft ist es mit der Erfahrung gekoppelt, für Homosexualität verfolgt zu werden.
? Gibt es Zeit und Raum sich darüber zu verständigen, welche Bedeutung queer für Personen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten hat?
Der Fokus lag eher auf dem Kennenlernen und darauf, Vertrauen aufzubauen, in die Organisationen und die Community. Die Queer Refugees haben auch schnell erkannt, dass sie ähnliche spezifische Problemlagen haben und sich oft gegenseitig unterstützt.
? Welche Möglichkeiten gibt es Beratung und Begegnungen mit queeren Geflüchteten während der Pandemie anzubieten?
Als die Pandemie begann, haben wir uns darauf konzentriert, die Pressemeldungen und allgemeinen Aufklärungen zum Thema Corona in die jeweiligen Sprachen zu übersetzen. Außerdem haben wir versucht, unsere Arbeit in Online[1]Meetings fortzusetzen, was am Anfang auch gelungen ist, dann allerdings schnell auslief. Der persönliche Austausch ist eben nicht durch ein eher anonymes Online-Format zu ersetzen. Einige hatten auch nichts davon mitbekommen und die technischen Möglichkeiten sind auch begrenzt, weil nicht jeder Person Geräte und Internetzugang zur Verfügung stehen.
? Wie ist Queer Refugees support mit anderen Organisationen und Bewegungen vernetzt?
Als Aidshilfe sind wir ohnehin bekannt und gut vernetzt mit anderen Organisationen. Wir hatten den Eindruck, dass unser Angebot sehr gut angenommen wurde. In Oldenburg war unser Projekt schnell bekannt und die verschiedenen Organisationen haben uns ihre Adressat*innen empfohlen.
? Welche Unterstützung ist für queere Geflüchtete wichtig?
Es ist vor allem wichtig, den Adressat*innen zu – zuhören, denn sie wissen selbst am besten, was sie benötigen. Es sind meist die spezifischen Probleme, mit denen Geflüchtete allgemein konfrontiert sind. Keinen sicheren Aufenthaltsstatus zu bekommen, sondern alle drei Monate, um eine neue Duldung zu bangen. Nicht arbeiten zu dürfen, die Ausbildung nicht anerkannt zu bekommen, und wegen des unsicheren Aufenthalts auch nicht eigestellt zu werden. Dann kommt erschwerend hinzu, dass queere Menschen sich nicht in der Öffentlichkeit offen zu ihrer sexuellen Identität bekennen können, da ihnen dadurch weitere Nachteile entstehen können. So wäre es z.B. quasi unmöglich, als schwarze Lesbe eine Wohnung zu bekommen.
? Welche Unterstützung braucht Queer Refugees support?
Leider wird unser Projekt seit April letzten Jahres nicht mehr gefördert. Wir halten die Kontakte, die wir aufgebaut haben. Allerdings sind unsere niedrigschwelligen, offenen Angebote und die Unterstützung mit Fahrtkosten nicht mehr zu finanzieren. Das ist sehr schade und ein grundsätzliches Problem mit der Finanzierung über Projektanträge. Die Arbeit, die geleistet wurde, kann nicht weiter wachsen, da die Gelder aller – höchstens für 2 Jahre bewilligt werden. Obwohl sich herausstellte, dass der Bedarf immens ist und das Projekt bereits unterfinanziert war, wurde in diesem Falle vom Land Niedersachsen entschieden, dass das Projekt Queer Refugee Café nicht weiterläuft.
katharina | Seebrücke Oldenburg | März 2022 | veröffentlicht in der RoZ
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